Donnerstag, 29. Oktober 2009

Unser Gehirn braucht Pausen - und wie wir sie nützen

Unsere grauen Zellen müssen auch manchmal abschalten. Der Neurobiologe Yi Hong vom Cold Spring Harbor Laboratory in New York hat das jüngst entdeckt. Sonst kann unser Gehirn gar nichts Neues richtig abspeichern.

Ja, wie soll ich mir das jetzt vorstellen? Gehirn macht Pause… Setzen sich da ein paar graue Zellen einfach so auf die nächst beste Ganglie und lassen ihre Zellentürchen schwingen? Was sag' ich ein Paar - das sind dann natürlich ein paar Hunderttausend. Und die Sitzen dann so und plaudern dann so miteinander was man halt so plaudert in einer Pause. „Hast du gehört, der Hirnederl hat gestern wieder ein Schmerzmittel angefordert?“ sagt die eine und ihre Nachbarin schüttelt ein Blutgefäß: „Ja, der Eduard Hirn ist Allergisch gegen Kater. Was der schon mit den Leberzellen gestritten hat…“
Eine andere Hirnzelle wiederum macht sein Brotzeitkofferl auf und knabbert ein paar Nüsse wegen des Leistungssteigerers Cholin. „Was sich die immer dopen muss… na ja, seit ich denken kann schwächelt sie so im Rechenzentrum umadum“, spötteln andere.
Jetzt stellt sich selbstverständlich die Frage, was machen wir Menschen in der Zeit, wo unsere Gehirnzellen eine Erholungspause einlegen. Ich hab dazu eine meiner Zellen befragt und die Antwort war sehr einfach.
„Für die meisten Menschen geht der Tag ganz normal weiter. Sie merken nichts. Schließlich sind sie auf hirnloses Handeln trainiert. Gerade wenn wir Gehirnzellen Pause machen, nützen viele Menschen die Zeit um sich zu vergnügen. Früher haben sie eine Runde um den Häuserblock gedreht oder im Garten Unkraut gezupft. Jetzt tun’s fernsehen oder sie steigen in ihr Auto und fahren in unserer Erholungspause irgendwo hin. Offenbar haben die Menschen Autofahren als ideale Tätigkeit entdeckt, um auch ohne uns Gehirnzellen auszukommen.“
Weil Autofahren heute sehr das Börsel belastet, haben vife Gehirnzellen in ihrer Arbeitszeit dem Menschen ein neues Pausenvergnügen beschert: Soziale Netzwerke genannt. Facebook, aka’aki, Twitter oder so sind Einrichtungen im Internetzeitalter, wo sich weltweit Menschen in den Pausenzeiten ihrer Gehirnzellen gefahrlos und mit geringen Kosten austauschen können.
Und was graue Zellen an dieser, ihrer Entwicklung besonders freut, es spielt keine Rolle, wenn sie einmal über mehrere Stunden pausieren oder sogar tagelang in einer Hängematte aus Ganglien schlummern. Die Menschen sind von Facebokk etc. dermaßen fasziniert, dass sie das Regenerieren ihrer grauen Zellen gar nicht merken..
Je hirnzellenabstinenter der Zustand, desto verständlicher die soziale Kommunikation. Ein morgenaktiver Moderator schreibt dann etwa mehrmals die Woche nur: „Bin unterwegs nach Wien“ und schon fühlen sich wenigstens 20 soziale Netzwerker davon so angetan, dass sie begeisterte Kommentare folgen lassen müssen. Um die grauen Zellen in ihrer Pause nicht zu stören, steht dann einfach nur Banales in der Antwort. „Bravo!“, „Schön für dich!“, „Komm gut zurück!“
Zum Glück packt in dieser Zeit offenbar niemals eine graue Zelle die Arbeitswut, sonst wäre ja vielleicht zu lesen: „Bist nicht abgegangen“, oder „Wann bleibst du endlich dort?“
Völlig Unbekannte rücken so plötzlich in den Mittelpunkt des geistigen Pausenprogramms. „Bin jetzt essen“, „Bin müde“. Andere wieder lassen die Welt an ihrer ausgeprägten Beobachtungsgabe teilhaben: „Heute wieder kein Sonnenschein“ oder „Wochenende vorbei, muss wieder arbeiten“.
Jetzt meinen Sie, wo Sie Pausen Ihres Gehirns zum Unkraut zupfen oder für einen Spaziergang nutzen, derartiges könne nur jugendliche Gehirnaussetzer betreffen. Nicht doch!
Erst kürzlich saß ich bei meinem urgemütlichen Wirten in Flandorf um meinen Zellen eine Auszeit zu gönnen, als eine Damenrunde die Lokalität betrat. Aktive, fröhliche, putzmuntere Damen im tiefsten Mittelalter und älter. Und nachdem die Auswahl an Tortenstücken und Kaffeefarbe getroffen war, startete das der übliche Smalltalk. Oder eigentlich doch nicht.
Denn tatsächlich ging es um das Thema Austausch von E-Mail-Adressen, die Eroberung des Alltags durchs Internet und den Vorsprung der US-Amerikaner im Gebrauch dieses Mediums. Und  – welcher Fortschritt etwa Facebook sei, nur leider etwas unsicher und zu wenig intim.
Meine inzwischen wieder am Arbeitsplatz erschienen grauen Zellen hat das Gespräch selbstredend sehr in Anspruch genommen. Was letztlich zu folgendem Abkommen zwischen meinem Gehirn und mir geführt hat: Soziale Netzwerke werden nur in der gehirnaktiven Zeit konsumiert, weil es da viel zu Lachen gibt. In den Ruhepausen der kleinen Denker, bleibe ich dem Computer fern.
Und daran halte ich mich: Tschüss und Servus!